Sonntag, 30. Dezember 2012 5 Kommentare

Ein Jahr Brasilien - ein Rückblick

Vor fast einem Jahr machten sich zwei Deutsche auf, das Land des Fußballs, der Caipirinhas und der Copacabana zu entdecken. Das fünftgrößte Land der Erde, das artenreichste und mit dem Amazonas als größtem zusammenhängendem Waldgebiet die grüne Lunge der Welt. Sie machten sich auf in ein Land voll junger Menschen, in dem das Durchschnittsalter bei gerade mal 27 Jahren liegt, ins einzige Land Südamerikas, in dem portugiesisch gesprochen wird. In ein "Schwellenland", in dem die Kriminalitätsrate weit über dem Weltdurchschnitt liegt und in dem erst seit Mitte der 80er Jahre eine stabile Demokratie herrscht.

Soweit die Fakten zu dem Land, das ich heute vor einem Jahr noch nicht kannte. In das ich "blind" gekommen bin, ohne zu wissen, was mich erwartet und nur mit dem Vertrauen in Jan, der - wie es so seine Art ist - nur meinte "es ist gar nicht sooo anders, ich glaube, es wird Dir gefallen.".

Und "JA!". Er hatte Recht. Es gefällt mir. Es gefällt mir sogar sehr.

Natürlich ist Brasilien anders und dieses "anders sein" spiegelt sich selbstverständlich auch in den "Vorurteilen", die man über das Land hat wider.
Die Menschen sind jung, jünger, als ich es gewohnt bin. Mit 31 Jahren bin ich tatsächlich älter als viele meiner Freunde, Kollegen, Schüler.
Das Land ist ärmer. Die Bildung schlechter. In der Schule wird nicht zur Selbstständigkeit erzogen. Ich kenne wenig Menschen mit einem Bücherregal im Wohnzimmer (eine Tatsache, die mich bis jetzt wirklich schockiert!).
Die Probleme sind viel grundsätzlicher als in Deutschland. Während wir uns häufig in der Theorie mit Dingen auseinandersetzen wird hier noch an der Front gekämpft: gegen Armut, Hunger, für bessere medizinische Versorgung, die Lebenserwartung hier liegt im Durchschnitt 10 Jahre unter unserer.
"Sicherheit" ist ständig ein Thema. Man sieht kaum Häuser ohne hohen Zaun, Alarmanlage oder Wachdienst. Im Dunkeln alleine durch die Straßen zu spazieren ist keine Option.

Und auch im Positiven ist das Land anders: Die Menschen sind fröhlich, interessiert, neugierig, manchmal unbedarft. Es vergeht kein Tag, an dem man als Ausländer nicht im Land willkommen geheißen wird. Brasilianer sind gesellig. Ständig ist man eingeladen, ob zum Churrasco oder zu einer Party. Jeder ist hilfsbereit und freut sich, dass man da ist.

Doch was hat das Land mir persönlich in dem einen Jahr gebracht?
Ich habe viele viele tolle Menschen kennen gelernt. Ich habe einen Job gefunden, der perfekt für mich ist. Ich spreche eine neue Sprache. Ich genieße das gute Wetter, die viele Sonne, bin viel aktiver als in Deutschland. Das wunderbare Essen darf nicht unerwähnt bleiben: eine glückliche Kuh schmeckt tatsächlich besser, als eine unglückliche:-) und unglaublicherweise freue ich mich jeden Tag darüber, wie lecker eine Mango oder eine Ananas ist.
Ich stehe der deutschen Ordnung, dem "alles muss funktionieren"-Gehabe kritischer gegenüber. Ist es wirklich so schlimm, wenn man mal 5 Minuten auf den Bus warten muss? Was spricht dagegen, wenn man sich der Verkäuferin im Laden mit Namen vorstellt? Bin ich unprofessionell, weil ich "Du" statt "Sie" sage? Warum darf ich nicht zeigen, wenn ich Jemanden auf den ersten Blick sympathisch finde? Sollte ich nicht häufiger sagen, wie toll Jemand aussieht, wie sehr ich eine Freundin mag? Warum sich nicht im Bus mit der Dame auf dem Nebensitz über deren Familie unterhalten?
Ein bisschen mehr Gelassenheit, Geduld und Entspanntheit sind nicht falsch.
Und das Land lehrt einen, mit Dingen zu leben, die nicht funktionieren:-)
Es regnet und der Verkehr kommt quasi zum Erliegen. Warum? Das weiß keiner, aber es ist so und damit muss man leben.
Der Strom fällt aus, ich dusche im Dunkeln, steige ohne Kaffee und mit nassen Haaren 15 Stockwerke die Treppen hinunter, nur um festzustellen, dass die Weihnachtsbeleuchtung im Stadtpark scheinbar das Einzige ist, was per Notstromaggregat läuft. Warum? Auch das weiß keiner, aber es ist halt so:-)

Brasilien ist manchmal verrückt, manches ist unverständlich und manches ärgerlich, aber vor allem ist es eine Heimat für mich geworden und ich freue mich auf 2013 und darauf, euch das Land zu zeigen, wenn ihr Lust habt.



Guten Rutsch und bis nächstes Jahr!!!

Mittwoch, 12. Dezember 2012 2 Kommentare

Projeto Verão statt Weihnachtsgans und Plätzchen

Adventskränze, Kerzenlicht, Weihnachtsdeko und viel zu viel gutes Essen. Das ist die Vorweihnachtszeit in Deutschland. Man backt Plätzchen (oder isst sie zumindest), lümmelt gemütlich auf dem Sofa und die einzig sportliche Aktivität im Advent besteht aus den unvermeidlichen Weihnachtseinkäufen und - je nach vorhandenen Mitteln - einer gediegenen Schneeballschlacht.

Nicht so in Brasilien. Klar, wir sind auf der anderen Seite der Erdhalbkugel und sogar mir ist inzwischen mehr als bewusst, dass das mit den Jahreszeiten hier nicht so funktioniert, wie ich es die letzten 30 Jahre meines Lebens gewohnt war.
Natürlich gibt es hier Weihnachtsdekoration, diese besteht allerdings aus Plastiktannenbäumen und viel zu vielen Lichterketten. So wird also schon Ende November der Plastikbaum aus dem Kabuff geholt, zusammengesteckt (ja genau: "zusammengesteckt" - ich hatte die große Ehre, in der Sprachschule den Baum "aufzubauen" und habe dies unter mehreren Lachanfällen unter den Blicken meiner verwunderten Kollegen auch ganz gut hinbekommen) und geschmückt.
Auch Weihnachtsmänner sieht man in letzter Zeit häufiger auf den Straßen und in den Einkaufszentren. Die armen Kerle schwitzen bei bis zu 38 Grad in ihren Kostümen, sind aber scheinbar noch nicht auf die Idee gekommen eine Bewegung für "Weihnachtsmänner in roten Badehosen" zu gründen.

Präsenter jedoch als alles Weihnachtliche ist momentan das "Projeto Verão 2012/2013", das "Projekt Sommer":

Quelle: viamulher.com.br

Da die Mehrheit der Brasilianer Weihnachten und Silvester am Strand verbringt gilt es in der Adventszeit auf den perfekten Strandkörper hinzuarbeiten. Fitnessstudios bieten Sonderangebote an, Diätmittelchen stehen hoch im Kurs und die Artikel der einschlägigen Frauenzeitschriften drehen sich um Ernährungstipps und die mögliche Gewichtsabnahme von 10 Kilos in 5 Tagen.
Ziemlich verwundert registrierte ich letzte Woche im Fitnessstudio, dass bereits um 8 Uhr morgens alle Laufbänder belegt waren und überall mit verbissenen Gesichtern Hanteln gestemmt wurden. Auf Nachfrage bei meiner Trainerin seit wann es denn schon morgens so voll sei (normalerweise bin ich die Einzige um 8h) gab sie mir nur zur Antwort "Projeto Verão, Tessa...". Es hatten wohl schon um 7h, als sie die Tür aufschließen wollte, verzweifelte Brasilianerinnen vor der Tür Schlange gestanden, denen am Tag zuvor beim Bikinikauf der Blick in den Umkleidekabinenspiegel die Tränen in die Augen getrieben hatte.

Dass der Schönheitswahn hier deutlich ausgeprägter ist, als in Deutschland, war mir bewusst. Dass man mir hier meine Adventszeit allerdings mit Diäten kaputtmacht, das lasse ich mir nicht gefallen!
Ich zünde jetzt bei 33 Grad Außentemperatur zwei Kerzen auf dem Adventskranz an und esse einen leckeren Keks!




 
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