Montag, 27. Mai 2013 2 Kommentare

Kultur? Ich hab da so nen Beutel...

Schulde ich euch eigentlich noch Reiseberichte? - JAAA!!! Mindestens Rio de Janeiro und Buenos Aires sollten doch erwähnt werden und nicht zu vergessen gab es in den letzten Monaten auch einige Ausflüge ins schöne Umland von Porto Alegre - sei es ein Schlemmerwochenende im Winzertal oder eine Canyonwanderung.
Schreibe ich gerne Reiseberichte? - NEEEIN!!! (Sollte diesen Post jemand lesen, der mir einen Job als Reisejournalistin anbieten möchte, revidiere ich meine Aussage natürlich :-))

Und so müssen Rio und Co. auch heute noch warten, denn ich wende mich einem meiner allerliebsten Lieblingsthemen zu: Leben und Überleben in einer fremden Kultur.

Quelle: www.leipzig.travel

Dies geschieht natürlich aus aktuellem Anlass und zwar nach einer Deutschstunde mit meiner Fortgeschrittenenschülerin Julia. Ich hole etwas weiter aus:
Julia und ich leben sozusagen in einer WG in Raum 12 in meiner Sprachschule, denn dort verbringen wir seit nunmehr 8 (!) Monaten täglich zwei Stunden miteinander und lehren und lernen die deutsche Sprache und Kultur. Inzwischen versorgen wir uns gegenseitig mit selbstgemachten Snacks, geben uns Restaurants- und Ausgehtipps, stecken uns abwechselnd gegenseitig mit einer Erkältung an und diskutieren die Fettnäpfchen, die das Leben hier für mich und das Leben in Deutschland für sie so bereithalten, denn Julia wird in Kürze ein Jahr in Deutschland studieren.

Julia stolperte also in der letzten Stunde über den aussagekräftigen Titel eines Kapitels unseres Deutschbuchs "Wir können uns ruhig Duzen", sah mich mit großen Augen an und fing dann an zu Lachen. "Sagt ihr das wirklich?" fragte sie mich. "Klar sagen wir das - es ist schließlich wichtig, dass Du den richtigen Moment abpasst, um das Du anzubieten und Du musst wissen, wie Du das dann machst." entgegnete ich.
"Puuhhh... ganz schön kompliziert bei euch... was muss ich denn sonst noch beachten, wenn ich in Deutschland bin?"
Ich überlegte und überlegte und beschloss dann, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Ich stellte mir also die Frage "Was ist es, was mich am meisten irritiert am Verhalten der Brasilianer - oder besser: was würden wir in Deutschland nie machen".

Hierbei kam mir zu allererst Jan in den Sinn, der stets leicht verstört aus dem Büro wiederkommt, wenn er ein Gespräch mit einem bestimmten Mitarbeiter hatte, der während des Gesprächs ständig die Hand auf Jans Arm legt (und mit ständig meine ich DIE GANZE ZEIT).
Auch ich habe Schüler und Schülerinnen, die mich in der Stunde anfassen, etwas, das mich ziemlich irritiert und an das ich mich nicht gewöhnen kann.
Weniger schlimm aber auch gewöhnungsbedürftig ist das Begrüßungsritual, das viele an den Tag legen. Ich komme ja gut damit klar, dass ich bei einem Churrasco alle mit Küsschen begrüße aber bei meinen Schülern??? Von 7.30h morgens bis 21.30h abends wird gebützt und das nicht nur an Karneval...

Die Brasilianer - so scheint mir - haben einen kleineren Privatbereich, das merkt man auch auf der Straße. Es ist schwer zu beschreiben, aber glaubt mir, ich fühle mich unwohl, wenn jemand so nah neben, vor, hinter mir hergeht, dass ich dessen Nasenhaare sehen kann. Brasilianern macht das aber nichts aus, auch im Bus (und der muss dafür nicht voll sein) wird gerne gekuschelt.

Anfangs sehr irritierend aber inzwischen akzeptiert ist die Manier, immer und überall einfach stehen zu bleiben. Sei es im Supermarkt in einem komplett vollen Gang oder einfach mitten auf der Straße - der Brasilianer hat Zeit und nimmt sie sich auch und das finde ich wiederum sehr sympathisch.
Erst heute Morgen beobachtete ich einen Busfahrer, der mit seinem komplett vollen Bus vor der grünen Ampel stehenblieb um bei einem Straßenhändler eine Zeitung zu kaufen - Zeit für die Morgenzeitung sollte doch immer sein, oder was meint ihr?



 
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